philots digest
Mittwoch, 5. September 2007
28 Wutausbrüche später
Am 05. September 2007
Es gibt langweilige Filme, die Klischees eines Genres bis ins letzte Detail ausreizen. Einige wenige, aber starke Momente können diese cineastischen Schlaftabletten jedoch übertünchen und dem Zuschauer dennoch das Gefühl einer soliden Unterhaltung unterjubeln. Und es gibt Filme, die sich mit vielversprechenden Szenarien und innovativen Genreverknüpfungen von dieser Masse abheben. Diese Filme neigen jedoch dazu, unter einigen wenigen, aber sehr dummen Schnitzern begraben zu werden. Nach 28 Weeks Later verlässt man das Kino verärgert über das leichtfertig vergeigte Werk.

Text?

An der Fortsetzung eines starken Filmes zu scheitern ist kein schwieriges Unterfangen. Insbesondere bei innovativen Werken, die einem vornehmlich oberflächlichen Genre ein wenig Tiefe verliehen haben, hat die Qualität des Sequels eine hohe Hypothek zu erfüllen. Umso hoffnungsvoller fällt der Beginn von 28 Weeks Later aus. Eleganter und ebenso schockierend hätte man einen 28 wöchigen Übergang in 5 Minuten nicht vollführen können.

Nach der Schlacht ist vor der Schlacht

Auch das neue Setting ist kein bloßer Aufguss des ersten Teils. Dort wanderte man nach der Superseuche durch den postapokalyptischen Scherbenhaufen und begab sich auf die verzweifelte Suche nach dem Sinn in einem Leben ohne Mitmenschen. Nun beginnt der ambitionierte Versuch, die Scherben unter dem Mandat des US-Militärs wieder zusammenzukehren und die sinngebende Gesellschaft wieder aufzubauen. Bis das ansehnliche Gerüst nach einer halben Stunde schließlich wieder zusammenkracht und die infizierte Hatz von neuem beginnt – diesmal jedoch mit umfangreicherem Waffenarsenal.

Zunächst jedoch wird London repopularisiert. Die Kamerafahrten durch die leergefegte Ex-Metropole verlieren auch im zweiten Teil nicht an Eindruck und die Aufbruchstimmung zwischen Hoffnung und Furcht verdichtet sich zu einer authentischen Atmosphäre. Soweit so gut. Dass London nicht wie Phönix aus der Seuche springt, sondern die Bewohner zunächst nur auf einen sterilisierten Bereich losgelassen werden ist logisch. Dass die hochmilitarisierte Demarkationslinie problemlos von ein paar Kindern durchbrochen werden kann leider nicht.

Wo bitte gehts zum direkten Tod?

Überzeugte 28 Days Later inmitten des fiktiven Endzeitszenarios noch durch die durchweg glaubwürdige Handlungsweise seiner Akteure, wird dieses Postulat im zweiten Teil leider in der Themse versenkt. Nur bei konventioneller Horror- und Thrillerunterhaltung entscheiden sich die Protagonisten stets für die todbringendeste aller Handlungsalternativen. In eine abgeriegelte Seuchenzone einzudringen, oder einem schwerinfizierten Menschen einen leidenschaftlichen Zungenkuss aufzudrücken sind nur zwei dieser kapitalen Verstandsaussetzer.

Wirklich interessant wird es dann, wenn ein englischer Hausmeister auf amerikanischem Sicherheitsgelände mit seinem Generalschlüssel zunächst bis tief ins Innere der militärischen Quarantänestation gelangen kann, um schließlich durch die unverschlossene (!) Tür zu seiner infizierten Angebetenen vorzudringen. Die gänzlich Unbewachte trägt übrigens genau den Virus in sich, der in den letzten 28 Wochen schätzungsweise 50 Millionen Briten das Leben gekostet und dem US-Militär die heikelste Mission seiner Geschichte eingebrockt hat. Das US-Militär fungiert diesmal übrigens als Aufbauhelfer nach der Katastrophe, böse Zungen haben auch hier gelacht.

Zurück zur Logik: Was verleitet einen hirn- und gefühlstoten Zombie dazu, mit offenkundigem Gefallen eines seiner Opfer zu foltern? Mit den tief im Augapfel vergrabenen Daumen hat es Regisseur Fresnadillo mühelos geschafft das Szenenäquivalent aus dem ersten Teil noch um ein Vielfaches an Brutalität zu übertreffen und damit selbst passionierten Leinwandsadisten wie Quentin Tarantino alle Ehre zu machen.

Was-wäre-wenn.. die Logik geblieben wäre?

Es sind genau diese unnötigen Aussetzer, die den Besuch von 28 Weeks Later zu einer tragischen Veranstaltung verkommen lassen. Das vielversprechende Konzept, diesmal in umgekehrter Manier den Ausbruch der Massenhysterie zu dokumentieren, hätte die Mission eines würdigen Sequels durchaus zum Erfolg verhelfen können.

Als die militärische Order fällt, alle Flüchtigen undifferenziert hinzurichten, wird der Zuschauer auch diesmal in ein ethisches Dilemma katapultiert. Dass im ersten Teil subtile Moralfragen kunstvoll in Horroraction verpackt wurden, hatte man zwischenzeitlich fast vergessen. Nicht dass auf Befehl metzelnden Soldaten einen großen Beitrag zur Diskussion von Kriegsmoral beisteuern, dennoch kann sich der Zuschauer in dieser bildgewaltigen Szene dem Was-wäre-wenn-Dilemma nicht verschließen. Ein paar Leben gegen viele? In einer anderen brillanten Sequenz sorgt die spärliche grüne Nachtsichtbeleuchtung für klaustrophobe Angstzustände im Londoner Untergrund. Eine gelungene Kameraführung beweist abermals, dass für Hochspannung nicht immer spezialtechnische Hochleistungen notwendig sind.

Was nach knapp 100 Minuten bleibt, sind jedoch leider die dilettantischen Tiefpunkte, die das Potenzial einer an sich überdurchschnittlichen Endzeitvision überschatten. Eigentlich unfair.

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Sonntag, 6. Mai 2007
Man muss sich ja auch positionieren können
Am 06. Mai 2007
Martialische Plakate bilden die gestalterische Kulisse für den Unialltag eines Instituts für Politikwissenschaften. Offensiv wird auf korrupte Führungseliten, Diskriminierung und die konspirativen Praktiken der G8 hingewiesen. Elaborierte Diskussionen über Moral und Relevanz anwesenheitsbescheinigender Unterschriftenlisten in Lehrveranstaltungen, Aufrufe gegen sozial-selektive Studiengebühren und die Furcht vor einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bilden die inhaltliche Tiefe. Gleichstellung und Toleranz sind Sakrilegien, die wie ein unanzweifelbarer Konsens in das aufgeklärte Bewusstsein des politischen Instituts zementiert zu sein scheinen. Umso verblüffender ist es für den Beobachter, was er am sonnigen Montagvormittag im gut besuchten Vorlesungssaal aus den Reihen der Studenten herauszuhören vermochte.

Religion und Politik – der Konflikt zwischen beiden Institutionen erscheint so alt wie die Menschheit selbst. Der Kampf um den Alleinvertretungsanspruch geistlicher und weltlicher Führung bildete seit jeher den Rahmen für die politische Landschaft und gesellschaftliche Auseinandersetzungen, nicht zuletzt Kriege. Der Säkularisierungsprozess und die Einsicht, Politik dürfe nicht unter religiösen Vorzeichen stehen, gilt für aufgeklärte Geister zurecht als eine der herausragendsten westlichen Errungenschaften der Neuzeit. Eine tolerante und gleichheitsbedachte Politik bildet die Basis für eine interkulturelle Verständigung. Man konnte die Reaktion der emanzipierten Studentenschaft erahnen, als der Dozent an jenem Montagvormittag die Legitimität von religiösen Konnotationen in Verfassungstexten zur Diskussion stellte. Doch es kam ganz anders.

Die Präambel des deutschen Grundgesetzes enthält mit der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ ein unmissverständliches christliches Bekenntnis. Nach dem gescheiterten Verfassungsentwurf der Europäischen Union pocht die deutsche Bundeskanzlerin auf die Notwendigkeit einer religiösen Verankerung im Verfassungstext, um „das Prägende des Christentums für die alltägliche Politik aufrecht [zu] erhalten“. Polens Ministerpräsident hält eine polnische Unterstützung eines Verfassungstextes ohne religiösen Bezug für ausgeschlossen. Wie verhält sich die Studentenschaft am politischen Institut?

Gottesdienst im Hörsaal

Erste Wortmeldungen halten einen Verweis auf die christliche Kulturgeschichte für wünschenswert. Die identitätsstiftende Qualität eines religiösen Bekenntnisses dürfe nicht vergessen werden. Zudem handele es sich ja nur um kulturelle Überbleibsel, Reliquien, die nicht programmatischen, sondern lediglich historischen Erinnerungswert haben. Also alles nicht so schlimm?

Man wartet auf die wütenden Zwischenrufe, spürt den Proteststurm aufkommen, doch man wartet vergeblich. Nebst einigen artigen Widersprüchen und dem Hinweis auf sexuelle Selbstbestimmung bleibt eine atheistische, oder doch zumindest moderate Opposition überraschend still. Stattdessen legen die pro-religiösen Stimmen nach. Während der Dozent auf die normativen Gefahren einer explizit christlichen Klausel für Wertefragen verweist, erhofft sich eine Studentin von einem religiösen Passus in der EU-Verfassung eine bessere Positionierung Europas in der Welt und prescht damit in eine neue Argumentationsdimension vor. Das sei nicht abgrenzend gemeint, erinnert jedoch mehr an Exklusion als an bloße Selbstverortung. Ein anderer versucht im religiösen Bekenntnis des deutschen Grundgesetzes einen Gegenpol der Toleranz zu den Verbrechen des Holocaust zu sehen. Worin dieser Gegenpol bestehen soll, mag sich nicht recht zu erschließen.

Am Ende sollte der Dozent, der sich in der Rolle des Moderators einer sommerlich-leichten Plauderrunde sichtlich zu gefallen schien, mit seinen gelegentlichen Einwürfen für eine säkularisierte Verfassung den einzigen erwähnenswerten Widerpart stellen. Während der Strom von Studenten den Saal verlässt, die Gespräche im sonnigen Freien bereits auf Mensa umgeschaltet haben, erscheinen die martialischen Plakate wie Reminiszenzen einer vergangenen Zeit. War die inhaltliche Tragweite der vergangenen neunzig heiter-fröhlichen Minuten allgemein bewusst?

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