philots digest
Man muss sich ja auch positionieren können
Am 06. Mai 2007
Martialische Plakate bilden die gestalterische Kulisse für den Unialltag eines Instituts für Politikwissenschaften. Offensiv wird auf korrupte Führungseliten, Diskriminierung und die konspirativen Praktiken der G8 hingewiesen. Elaborierte Diskussionen über Moral und Relevanz anwesenheitsbescheinigender Unterschriftenlisten in Lehrveranstaltungen, Aufrufe gegen sozial-selektive Studiengebühren und die Furcht vor einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bilden die inhaltliche Tiefe. Gleichstellung und Toleranz sind Sakrilegien, die wie ein unanzweifelbarer Konsens in das aufgeklärte Bewusstsein des politischen Instituts zementiert zu sein scheinen. Umso verblüffender ist es für den Beobachter, was er am sonnigen Montagvormittag im gut besuchten Vorlesungssaal aus den Reihen der Studenten herauszuhören vermochte.

Religion und Politik – der Konflikt zwischen beiden Institutionen erscheint so alt wie die Menschheit selbst. Der Kampf um den Alleinvertretungsanspruch geistlicher und weltlicher Führung bildete seit jeher den Rahmen für die politische Landschaft und gesellschaftliche Auseinandersetzungen, nicht zuletzt Kriege. Der Säkularisierungsprozess und die Einsicht, Politik dürfe nicht unter religiösen Vorzeichen stehen, gilt für aufgeklärte Geister zurecht als eine der herausragendsten westlichen Errungenschaften der Neuzeit. Eine tolerante und gleichheitsbedachte Politik bildet die Basis für eine interkulturelle Verständigung. Man konnte die Reaktion der emanzipierten Studentenschaft erahnen, als der Dozent an jenem Montagvormittag die Legitimität von religiösen Konnotationen in Verfassungstexten zur Diskussion stellte. Doch es kam ganz anders.

Die Präambel des deutschen Grundgesetzes enthält mit der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ ein unmissverständliches christliches Bekenntnis. Nach dem gescheiterten Verfassungsentwurf der Europäischen Union pocht die deutsche Bundeskanzlerin auf die Notwendigkeit einer religiösen Verankerung im Verfassungstext, um „das Prägende des Christentums für die alltägliche Politik aufrecht [zu] erhalten“. Polens Ministerpräsident hält eine polnische Unterstützung eines Verfassungstextes ohne religiösen Bezug für ausgeschlossen. Wie verhält sich die Studentenschaft am politischen Institut?

Gottesdienst im Hörsaal

Erste Wortmeldungen halten einen Verweis auf die christliche Kulturgeschichte für wünschenswert. Die identitätsstiftende Qualität eines religiösen Bekenntnisses dürfe nicht vergessen werden. Zudem handele es sich ja nur um kulturelle Überbleibsel, Reliquien, die nicht programmatischen, sondern lediglich historischen Erinnerungswert haben. Also alles nicht so schlimm?

Man wartet auf die wütenden Zwischenrufe, spürt den Proteststurm aufkommen, doch man wartet vergeblich. Nebst einigen artigen Widersprüchen und dem Hinweis auf sexuelle Selbstbestimmung bleibt eine atheistische, oder doch zumindest moderate Opposition überraschend still. Stattdessen legen die pro-religiösen Stimmen nach. Während der Dozent auf die normativen Gefahren einer explizit christlichen Klausel für Wertefragen verweist, erhofft sich eine Studentin von einem religiösen Passus in der EU-Verfassung eine bessere Positionierung Europas in der Welt und prescht damit in eine neue Argumentationsdimension vor. Das sei nicht abgrenzend gemeint, erinnert jedoch mehr an Exklusion als an bloße Selbstverortung. Ein anderer versucht im religiösen Bekenntnis des deutschen Grundgesetzes einen Gegenpol der Toleranz zu den Verbrechen des Holocaust zu sehen. Worin dieser Gegenpol bestehen soll, mag sich nicht recht zu erschließen.

Am Ende sollte der Dozent, der sich in der Rolle des Moderators einer sommerlich-leichten Plauderrunde sichtlich zu gefallen schien, mit seinen gelegentlichen Einwürfen für eine säkularisierte Verfassung den einzigen erwähnenswerten Widerpart stellen. Während der Strom von Studenten den Saal verlässt, die Gespräche im sonnigen Freien bereits auf Mensa umgeschaltet haben, erscheinen die martialischen Plakate wie Reminiszenzen einer vergangenen Zeit. War die inhaltliche Tragweite der vergangenen neunzig heiter-fröhlichen Minuten allgemein bewusst?

Kommentieren